Bidirektionales Laden

QA Bidirektionales Laden 2022 in der Schweiz: Interview mit Dominik Müller, sun2wheel ag

Immer mehr Elektroautos bevölkern die (Schweizer) Strassen. Diese Elektroautos enthalten Batterien, mit deren Energieinhalt der Energiebedarf ganzer Häuser über mehrere Tage komplett gedeckt werden kann. Was ist dazu nötig? Bidirektionales Laden! Damit wird nicht nur die Batterie des Autos aufgeladen. Es kann auch Strom wieder zurück ins Haus gespeist werden. In diesem QA bidirektionales Laden habe ich die wichtigsten Infos rund ums bidirektionale Laden zusammengestellt.

Teilweise hört man im Markt sehr unterschiedliche Aussagen zum Thema bidirektionales Laden. Dies kann nicht zuletzt daran liegen, dass die Voraussetzungen in unterschiedlichen Ländern nicht gleich sind.

Um ein Update zu erhalten, wie es mit dem bidirektionalen Laden konkret in der Schweiz aussieht, durfte ich mit Dominik Müller von der sun2wheel ag sprechen. Die Leute von sun2wheel sind Pioniere, wenn es rund ums bidirektionale Laden in der Schweiz geht.

QA Bidirektionales Laden
Interview mit Dominik Müller von sun2wheel zum Thema bidirektionales Laden

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QA bidirektionales Laden: Fragen und Antworten

Was ist bidirektionales Laden?

Bidirektionales Laden bedeutet, dass Strom in beide Richtungen in die Autobatterie und wieder aus ihr heraus fliessen kann. Der heutige Standard ist das unidirektionale Laden, bei dem die Batterie nur aufgeladen werden kann. Zur Erhöhung des Eigenverbrauches, Ausgleichen von Lastspitzen, Zwischenspeicherung des selbst produzierten Solarstroms etc. benötigt es auch das Zurückspeisen des Stromes aus der Batterie ins Haus bzw. in das Netz, also das bidirektionale Laden.

Was bedeutet V2X?

V2X steht für Vehicle to X, also Entladen des Autos zu einem beliebigen Punkt. Die Unterkategorien sind dabei V2H (Home), also das Zurückspeisen ins (eigene) Heim, V2B (Building), das Zurückspeisen in ein grösseres Gebäude (z.B. Gewerbe oder Mehrfamilienhaus) und V2G (Grid), das direkte Zurückspeisen ins öffentliche Stromnetz.

Vehicle to Grid (V2G) in der Schweiz

Unter dem Projektnamen V2X Suisse wird erstmals ausprobiert, wie eine ganze Flotte von E-Autos helfen kann, das Stromnetz zu stabilisieren. Dazu werden Fahrzeuge des Carsharing-Anbieters Mobility genutzt. Mobility will bis 2030 seine ganze Flotte elektrifizieren. sun2wheel stellt dazu u.a. die Cloud-Plattform zur Verfügung, um die Fahrzeuge an den verschiedensten Standorten in der Schweiz synchronisieren zu können. Damit ist die Schweiz ein weltweiter Vorreiter in diesem Feld!

Ist bidirektionales Laden heute in der Schweiz schon erlaubt?

Bidirektionales Laden ist in der Schweiz heute schon erlaubt, sofern die Einspeisung „behind the meter“, also hinter dem Stromzähler in der Hausverteilung erfolgt. Damit sind heute bereits Vehicle to Home und – je nach Eigentümerstruktur – Vehicle to Building-Anwendung problemlos möglich. In den Anschlussanmeldungen an die Elektrizitätswerke ist dafür bereits ein entsprechendes Feld vorgesehen. Das Einzige, was momentan noch nicht erlaubt ist, sind Vehicle to Grid-Anwendungen. Aber auch daran wird bereits mit Hochdruck gearbeitet.

Beeinflusst bidirektionales Laden die Garantie auf die Batterie der Autohersteller?

Die Garantie der Autohersteller auf die Lebenszeit der Batterie wird durch bidirektionales Laden nicht beeinflusst. Da der Autohersteller bidirektionales Laden für seine Autos jeweils bewusst freischalten/ ermöglichen muss, sind ihm die Anforderungen durch das bidirektionale Laden bewusst und fliesst dementsprechend in die Garantiezeit der Batterie ein.

Übrigens: die Degradation (d.h. der Verlust von Batteriekapazität der Autobatterie über die Jahre) ist deutlich geringer als ursprünglich gedacht. Wissenschaftliche Analysen haben ergeben, dass die Degradation unter 10% liegt bei Laufleistungen der E-Autos von über 250’000 km.

Welche Autohersteller bieten bidirektionales Laden heute und in Zukunft an?

Bereits heute bieten die japanischen Autohersteller sowie Hyuandai bidirektionales Laden an. Dies deshalb, da in Japan bidirektionales Laden gesetzlich verankert ist. Damit unterstützen einige der meistverkauften E-Autos wie der Nissan MiEV und der Honda e, sowie der Hyundai Ioniq 5 das bidirektionale Laden.

Die prominenteste Ankündigung stammt von Volkswagen. Ab 2023 wird VW ihre ID-Modelle mit den grossen Batterien für bidirektionales Laden freischalten. Auch Volvo (und damit ihre Tochter Polestar) haben dies angekündigt.

Momentan fehlt der E-Auto-Pionier Tesla in dieser Aufzählung. Aufgrund von Aussagen der wissenschaftlichen Kooperationspartner von Tesla wird aber allgemein davon ausgegangen, dass auch Tesla bald mit seiner neuesten Batteriegeneration folgen wird.

Welche Protokolle gelten beim bidirektionalen Laden?

Für das bidirektionale Laden wird aktuell die Iso-Norm 15118-20 erarbeitet bzw. soll noch im Jahr 2022 verabschiedet werden. Darin wird geregelt, wie die Ladestation mit den Autos kommuniziert. Damit wird das bekannte Protokoll OCPP (Open Charge Point Protocol) ergänzt. Das OCPP ist das Kommunikationsprotokoll zum Back-End, d.h. es deckt die Abrechnungsseite ab.

Letztlich bedeutet die Verabschiedung der Iso-Norm 15118-20, dass alle Autohersteller und auch die Hersteller der Lade-Infrastruktur ihre jeweilige Software entsprechend anpassen müssen.

Sollte man sich heute noch Hausbatterien zu seiner Solaranlage kaufen? Oder sollte man besser auf das bidirektionale Laden warten?

Heute werden eine Vielzahl von Solaranlagen mit einer Hausbatterie zur Zwischenspeicherung des selbst erzeugten Stromes ergänzt. Oft haben diese Hausbatterien eine Kapazität von um die 10 kWh und kosten um die 10’000 CHF. Autobatterien der neuesten Generation sind meist deutlich grösser (oft über 50 kWh) und sind natürlich „automatisch“ beim E-Autokauf mit dabei.

Dies bedeutet: liebäugelt man in den nächsten Jahren mit dem Kauf eines E-Autos, so muss die Anschaffung einer Hausbatterie kritisch hinterfragt werden. Bei einer Garantiezeit von oft um die 10 Jahren (und einer erwarteten Lebenszeit, die darüber hinaus geht), hätte man sonst teures Geld für eine Batterie ausgegeben, die durch die Autobatterie letztlich überflüssig geworden ist.

Anders mag es aussehen, wenn die räumlichen Gegebenheiten nicht so sind, dass ein E-Auto in die eigene Hausinstallation eingebunden werden kann, oder wenn spezielle Anwendungen versorgt werden müssen. Wobei: zumeist sind die Hausbatterien zu klein, um eine Wärmepumpe in einer Winternacht zu versorgen, während die deutlich grösseren Autobatterien dies können.

Wieviele Wechselrichter braucht es denn zukünftig in einem Haushalt?

Der Wechselrichter wandelt Gleichstrom (wie er aus einer Batterie oder auch einer Solaranlage kommt) in Wechselstrom um, so wie er aus der Haushaltssteckdose kommt. (Mehr zu Wechselrichtern in diesem Beitrag.)

Bei Nutzung einer Solaranlage und einer Ladestation sind heute zwei Wechselrichter im Einsatz, je einer im Wechselrichter für die Solaranlage und einer in der Ladestation für bidirektionales Laden. Künftig kann man aber davor ausgehen, dass es im Heimbereich auch „Hybridwechselrichter“ eingesetzt werden. Diese gibt es ja heute bereits, um damit neben den Gleichstrom aus der Solaranlage auch den Strom aus der Batterie in Wechselstrom zu verwandeln.

Zukünftig kann man davon ausgehen, dass solche Wechselrichter auch die Anforderungen des bidirektionalen Ladens erfüllen. Aber natürlich wird es auch dezidierte Ladestationen nur für bidirektionales Laden geben. Z.B. dann, wenn keine Solaranlage im Einsatz ist, oder wenn viele Ladestationen benötigt werden wie z.B. in einem Mehrfamilienhaus oder auch beim Laden für eine Flotte eines Unternehmens.

Sind Autobatterien für Heimspeicher-Anwendungen geeignet?

„Früher“ hiess es, dass die Anforderungen an Autobatterien und Heimbatterien unterschiedlich sind. Dies ist nachvollziehbar, schliesslich müssen Autobatterien in kürzester Zeit mehr als 100 kW zum Antrieb zur Verfügung stellen, oder sollen mit mehr als 100 kW von Schnelladestationen geladen werden. Dies ist bei einer Hausbatterie nicht nötig.

Ebenfalls wieder „früher“ gab es eine relativ strikte Trennung zwischen Lithium-Ionen Batterien, die schwerpunktmässig in Autos eingesetzt wurden. Wegen des befürchteten Brandrisikos dieser Batterien wurden in Heimanwendungen Lithium-Eisen-Phosphat-Batterien (LiFePo) eingesetzt. Heute gibt es aber Autohersteller, die LiFePo-Batterien einsetzen und Heimspeicher-Hersteller, die Lithium-Ionen Batterien nutzen. Die frühere Unterscheidung ist heute also nicht mehr haltbar.

AC-Laden oder DC-Laden: Was sollte beim bidirektionalen Laden genutzt werden?

Einige Gründe sprechen für die Nutzung des DC-Ladens (D.h. die Ladestation lädt mit bzw. wird zurück geladen mit Gleichstrom aus der Autobatterie. Beim AC-Laden hingegen wird ein Onboard-Richter vor der Batterie genutzt).

Zum einen sind die heutigen Onboard-Lader nur einphasig, und damit auf eine Leistung von 3.6 kW beschränkt. Dies schränkt die Nutzbarkeit stark ein. Auf der anderen Seite kann durch das Zwischenschalten des Onboard-Laders nicht auf die Batteriedaten zugegriffen werden. Damit erfolgt die Ladung ein wenig im Blindflug, was die Effizienz deutlich verschlechtert. Es ist aber durchaus möglich, dass diese Probleme in Zukunft überwunden werden, so dass dann auch AC-Laden eine valable Alternative darstellt.

Was kostet eine Ladestation für bidirektionales Laden heute in der Schweiz?

Eine Ladestation für bidirektionales Laden kostet im Jahr 2022 ca. 12’000 Franken.

Dafür ist bei einer solchen Ladestation jedoch auch schon „Intelligenz“ verbaut (also z.B. Laden wenn die Sonne scheint), die ansonsten separat beschafft werden müsste. Die Mehrkosten betragen damit rund 10’000 Franken. Diese 10’000 Franken muss man in Relation setzen zu den Kosten einer Hausbatterie. Damit kommt man im Einfamilienhausbereich in etwa auf die gleichen Kosten. Dafür hat man allerdings eine deutlich grössere Batterie zur Verfügung, mit der man auch stromintensive Anwendungen betreiben kann.

Wenn man dann die Kosten mit einer Batterie für ein Mehrfamilienhaus oder einen Gewerbetrieb vergleicht (dort kostet eine Hausbatterie schnell 30’000 bis 40’000 Franken), dann ist man mit einer Ladestation für bidirektionales Laden deutlich günstiger.

Lohnt sich bidirektionales Laden 2022 in der Schweiz?

Letztlich gilt hier die gleiche Kostenrechnung wie einer Hausbatterie. Ob es sich lohnt ist damit abhängig von dem Solarstrompreis, dem Rückspeisetarif und den Strompreisen des Versorgers. Im Einfamilienhaus ist eine positive Rendite mit den heutigen Preisen nicht in jedem Fall gegeben. Deutlich besser sieht die Renditerechnung im Gewerbebereich aus.

Welchen Einfluss hat das erwartete autonome Fahren der Elektroautos auf das bidirektionale Laden?

Auf der einen Seite wird erwartet, dass autonomes Fahren die Standzeit von Elektroautos verringert. Nämlich dadurch, dass Elektroautos von ihren Eigentümern anderen Menschen zur Verfügung gestellt wird („Robotaxi“). Damit sinkt die Standzeit auf 30-50%. Auf der anderen Seite wird die Durchdringung mit Elektroautos bereits deutlich höher sein als heute. Damit stehen dann doch wieder viele Autos zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung, so dass mit bidirektionalem Laden das Stromnetz stabilisiert werden kann. Zudem kann es sein, dass sich bis dahin das induktive Laden (d.h. das Laden während des Fahrens) weiter entwickelt.

Fazit

Bidirektionales Laden ins Haus ist heute in der Schweiz bereits erlaubt. Für die Einspeisung ins Stromnetz müssen erst noch regularische Anpassungen vorgenommen werden. Ebenso ist wichtig, dass die Garantien von Autoherstellern, die bidirektionales Laden freigegeben haben, sich natürlich auch auf die Batterien beziehen.

Bidirektionales Laden befindet sich noch am Anfang. Es ist aber klar, dass mit der zunehmenden Anzahl an Elektroautos, die für bidirektionales Laden ausgerüstet sind, dieses Thema zunehmend an Bedeutung gewinnt.